Wer kennt das nicht: Man versucht auf unterschiedliche Art und Weise ein Problem zu lösen, aber findet einfach keinen Ausweg. Da kann Frust aufkommen. Mir ist es im Laufe meiner Karriere auch schon so gegangen.
Eine Erinnerung bleibt mir dabei besonders stark im Gedächtnis. Meine Aufgabe war es, ein neues Team, für das zwei Teams zusammengelegt wurden, beim Neuanfang zu begleiten. Das Team konnte sich nicht an die firmenweit vereinbarten Regeln für das Software-Release halten, aber auch andere Themen führten wiederholt zu Konflikten. Ich probierte verschiedene Interventionen aus, um voranzukommen, aber es wurde nicht besser. Glücklicherweise wurde meine Abteilung damals von einem Senior-Coach begleitet, den ich in einem Gespräch um Rat fragte:
Ich: Ich komme mit meinem Team einfach nicht weiter. Es gibt immer wieder Konflikte über dieselben Themen, die wir nicht lösen können.
Senior-Coach: Was hast du denn alles schon versucht?
Ich: Wir haben in den Retrospektiven darüber gesprochen und Maßnahmen definiert. Ich habe eine Konfliktmoderation durchgeführt, die zwar Verständnis füreinander geschaffen hat, aber den Konflikt nicht nachhaltig bereinigen konnte. Abschließend habe ich das Team befragt, was wir noch machen könnten. Sie waren ebenfalls ratlos und frustriert.
Senior-Coach: Mmmh. Hat sich aufgrund deiner Interventionen irgendetwas nachhaltig verändert?
Ich: Nein.
Senior-Coach: Ich glaube nicht, dass es an deinen Interventionen liegt, sondern dass wir den Blick weiten müssen, um voranzukommen.
Diese Worte regten mich zum Nachdenken an. Mir wurde klar, dass ich mich so sehr auf das Team fixiert hatte, dass ich den Blick für das große Ganze verloren hatte. Gemeinsam analysierten wir das Umfeld und die Rahmenbedingungen. Wir erkannten, dass die stark unterschiedlichen Teamkulturen der ursprünglichen Teams ein Zusammenwachsen erheblich erschwerten. Das eine Team hat sich sehr stark mit seinen Kunden identifiziert und weniger mit Regeln. Das andere Team achtete in seiner Arbeit für Kunden sorgfältig darauf, die firmeninternen Regeln einzuhalten. Anschließend identifizierten wir die Teammitglieder, die besonders für die kulturellen Gegensätze standen und zusätzlich wenig kompromissbereit waren. Die Lösung bestand darin, ein Teammitglied aus dem Team herauszunehmen und ihm eine andere Aufgabe zu geben. Daraufhin löste sich der Knoten im Team und es machte einen Sprung in der Entwicklung.
Rückblickend erkannte ich, dass diese Erfahrung einen systemischen Blick auf die Situation darstellte. Dieser Ansatz umfasst mehrere wichtige Aspekte:
- Ganzheitliche Betrachtung: Das Gesamtsystem und seine Wechselwirkungen werden berücksichtigt, nicht nur einzelne Elemente. Hier war es der Blick auf die unterschiedlichen Kulturen der „alten“ Teams und deren Fortbestand in den Teamteilen des neuen Teams.
- Kontextbezogenheit: Die Umgebung und äußere Einflüsse werden in die Analyse einbezogen. Der Blick auf firmeninterne Regeln ermöglichte es, das unterschiedliche Verhalten der Teamteile zu beobachten.
- Mustererkennung: Wiederkehrende Verhaltensweisen und Strukturen werden identifiziert und analysiert. Auch bei anderen Regeln gab es unterschiedliche Herangehensweisen.
- Kontrollillusion aufgeben: (Soziale) Systeme lassen sich nicht direkt kontrollieren, sondern nur beeinflussen. Ich kann eine bessere Teamkultur durch meine Interventionen an der richtigen Stelle begünstigen, aber nicht kontrolliert herbeiführen.
Diese Erfahrung markierte den Beginn meiner Entwicklung, Teams und Organisationen aus einer erweiterten, systemischen Perspektive zu betrachten. Mittlerweile habe ich gelernt, von Anfang an das gesamte relevante System in meiner Betrachtung zu berücksichtigen.
Danke, Thoralf Rapsch, für deinen damaligen Impuls!
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